Gorges du Loup – Sommerklettern an der Côte d‘Azur

Gorges du Loup – Sommerklettern an der Côte d‘Azur

10/08/2020 Aus Von Martin Wagner

Die Klettergebiete an der Côte d‘Azur in Südfrankreich sind als Winterziele wohl bekannt. Aber auch für den Sommer gibt es ausgezeichnete Destinationen. Nicht weit von den berühmten Gebieten wie St. Leger und Verdon, aber deutlich näher an der Küste befindet sich das etwas weniger bekannte Klettergebiet der Gorges du Loup. Hier fanden wir alles, was wir für unseren Sommer-Kletterurlaub suchten: Klettertaugliche Temperaturen, Erfrischungsmöglichkeiten im Klettergebiet, Strand und Meer in Reichweite und natürlich Felsen, Felsen, Felsen. Dass wir in vernünftiger Zeit mit dem Auto anreisen können, ist zu Coronazeiten ein weiteres Argument.

Die Schlucht

Die Gorges du Loup befindet sich nur 15km vom Meer entfernt, bei Pont-sur-Loup, nördlich von Cannes. Hier steilen sich die Berge stark auf und die Schlucht schneidet markant ins Landesinnere. Gespickt mit unzähligen Felswänden zu beiden Seiten ist die tiefe Schlucht mit ihren Wasserfällen, kühlen Gumpen und Grotten ein Magnet für Naturbegeisterte. Die vielen perfekt erschlossenen Kletterrouten locken natürlich auch die Kletterer an. Zu beiden Seiten der Schlucht finden sich kompakte Kalksteinwände mit technischer senkrechter Kletterei und vor allem auch steilen Sinterrouten. Durch die Nord-Süd-Ausrichtung der Schlucht findet man je nach Tageszeit auf einer Seite immer Schatten an den Wänden. Der meist konstante Wind verspricht uns sogar Mitte Juli gute Kletterbedingungen. Im Kletterführer wird das Gebiet als der perfekte Sommerspot angepriesen.

Martin Wagner in “Petit Poucet” 7c+

Beliebtheit

An den Wochenenden ist die Parkplatzsituation in der Schlucht recht anspruchsvoll. Als wir am ersten Tag mittags in der Schlucht ankommen, verteilen sich unzählige Autos auf die wenigen Parkmöglichkeiten und wir erwarten stark frequentierte Felsen. Am Sektor angekommen stehen wir alleine vor der Wand. Die geparkten Autos gehören also zu den vielen Erfrischungssuchenden, die durch die Schlucht wandern oder an den Badestellen ihr Picknicklager aufschlagen. An den Wänden bleiben wir meist alleine oder bekommen Besuch von einzelnen Seilschaften. Nur am üblichen Aufwärmsektor Phasme und dem Hauptsektor Mesa Verde kommen am Wochenende ein paar mehr Seilschaften zusammen. So entspannt kann man heutzutage nur noch selten klettern.

 

Die Sektoren

Im Kletterführer werden über 20 Sektoren beschrieben, wobei es scheinbar noch viel mehr gibt. Immer wieder sehen wir Kletterer mit Rucksäcken, wo im Kletterführer eigentlich keine Sektoren beschrieben sind. Von einem Local erfahren wir, dass das Gebiet konstant erschlossen wird und es mittlerweile noch viel mehr gibt. Der Blick durch die Schlucht lässt das Potential nur erahnen.

Aber auch die im Führer beschriebenen Sektoren geben uns mehr als genug Beschäftigungspotential. Festzuhalten ist, dass an den meisten Wänden unter 7a nicht viel zu holen ist.

Sektor “Pupuce”

Sektor Pupuce/Déverse Satanique

Der wohl bekannteste und beeindruckenste Sektor in der ganzen Schlucht befindet sich nur wenige Minuten oberhalb der Schluchtstraße. Überhänge in unbegreifbaren Dimensionen, gespickt mit faustbreiten Sintern. Ein Sektor für Profis mit kaum Routen unter dem 8ten Franzosengrad und der extremen Route “PuntX” 9a, welche weit über die Schluchtgrenzen bekannt ist.

Auch wir wollen uns in ein paar der 8as und 8a+en spielen, was uns aber unerwartet verweigert wird. Trotz allgemeiner Trockenheit gleicht der komplette Sektor einem Wasserfall und verwehrt uns Versuche in den steilen Routen. Auf Nachfrage bei einem Local scheint der Sektor doch erst im Herbst trocken und kletterbar zu sein. Bei genauerem Blick erspähen wir außerdem, dass die glatten Überhänge häufig erst durch künstliche Griffe zwischen den Sintern kletterbar gemacht wurden.

Sektor “Mesa Verde”

Sektor Mesa Verde

Der wohl beliebteste Sektor befindet sich tief in der Schlucht. Mit Nachmittagsschatten ist er der ideale Sektor, um nach einer Mittagserfrischung im nahen Bach einige Routen zu ziehen. Leicht überhängende, meist relativ technische Kletterei an Leisten und Kanten prägen hier das Bild. Sinter sind nur vereinzelt anzutreffen. Da dies einer der älteren und klassischen Sektoren ist, muss man sich stellenweise auf eine etwas verschärfte Bewertung einstellen. Geschenke bekommt man aber in Sachen Routenqualität. Highlights für uns waren unter anderem die knallhart bewertete “Petit Poucet” 7c+, “Ma vie en l’air” 7a mit seiner genialen und ausdauernden 7c Verlängerung, oder die steile “Pizza Partie” 7c. Wer kann, sollte sich aber auch unbedingt an der Toplinie “Arrowhead” 8a versuchen. Grundsätzlich findet man eine Vielzahl an Routen hauptsächlich zwischen 7a und 7c bis hin zu einzelnen knallharten 8bs. Unter 6c ist aber auch hier nichts zu holen.

Sektor “Le Phasme”

Sektor Le Phasme

Gegenüber von Mesa Verde direkt unterhalb der Schluchtstraße befindet sich der ideale Aufwärmsektor. Morgens im Schatten und mit direktem und kurzem Abstieg zum Bach und dem Nachmittagssektor gegenüber. Der graue, leicht überhängende Fels ist rau übersintert und bietet technische Wandkletterei. Richtige Sintersäulen gibt es aber nur wenige. Das Routenspektrum reicht von 6b+ bis 7b bzw. einer einzelnen 8a. Auch hier ist die Bewertung nicht zu locker, die Routenqualität aber durchwegs hervorragend. Der raue Fels macht stellenweise sogar einen jungfräulichen Eindruck und es macht uns großen Spaß, unsere Griffkombination durch die Wand zu finden. Nur der hohe Hautverschleiß nötigt uns nach einigen Touren doch zum erfrischenden Bach zu wechseln, bevor es Nachmittags in einem anderen Sektor weiter geht.

Zustieg durch die Tunnel

Durch die Tunnel …

Weiter oben durchziehen eine Vielzahl von Felswänden die Schlucht, welche großes Potential vermuten lassen. Tatsächlich sind davon auch einige Diamanten erschlossen. Der Zustieg erscheint auf den ersten Blick aber lang, mühevoll, steil oder sogar unmöglich. Tatsächlich kann man die Sektoren aber sehr leicht erreichen. Zwei Wasserleitungen verlaufen auf unterschiedlichen Höhen längs durch die Schlucht und das auf eine ziemlich eindrucksvolle Art und Weise. Die Wasserleitungen sind samt Wanderweg in den steilen Fels geschlagen und verlaufen über Galerieabschnitte und einige Tunnels mitten durch die Wand. Die Fenster in der Wand geben einen spektakulären Blick auf die Schlucht frei.

Für die nächsten beiden Sektoren können wir ohne Parkprobleme auf der oberen Schluchtstraße die obere der Wasserleitungen erreichen. Von nun an geht es ebenerdig durch 6 – 8 Tunnels gemütlich zu den Wänden, die sich direkt oberhalb der Wasserleitung befinden.

Ana Ogrinc Wagner in “Cayenne” 7c+

Cayenne

Unser Lieblingssektor bietet steile und ausdauernde Sinterkletterei in perfektem rauen Fels. Mit einem Routenangebot von 6c bis 8b ist ein breites Spektrum abgedeckt, wobei man erst Spaß hat, wenn man sich in den 7bs bis 8as spielen kann. Die athletischen und steilen Routen wie der Sektorklassiker “Cayenne” 7c+, “Shakti” 7c+ und “Poulets Boulets” 7b verlangen einiges an Ausdauer und Körperspannung ab, wobei man häufig erstaunlich gute Griffe in der Hand hat. Die extrem steile “Mesquineries” 8a beansprucht den Bizeps aufs äußerste und es macht Spaß, die weiten Züge an den Sintern durchzuziehen. Absolutes Highlight und Kingline des Sektors ist „Welcome to the jungle“ 8a, welche unter den Locals als 8a+ gehandelt wird. Markant zieht die Route über einen Sinter, eine steile abweisende Kante bis hoch über den letzten Überhang in die leistige Headwall. In dieser Route werden nicht nur Maximalkraft und Ausdauer gefordert, sondern sie verlangt auch einige Technikskills athletischer Kletterei.

 

Jurassic Park

Die beeindruckende Felsnase ist schon von der Schluchtstraße zu sehen. Richtig beeindruckend wird sie aber spätestens, wenn man darunter steht. Über einer senkrechten Wand mit den ersten Seillängen thront eine weit überhängende Headwall, die athletische und schwere Verlängerungen bieten. Im rechten Teil der Wand befindet sich eine etwas niedrigere Grotte mit extrem steilen und schweren Routen. Das Routenangebot reicht von 6c bis 8c. Bestechend ist die “La proue” 8a, die als zweite Verlängerung aus der auch schon sehr lohnenden “Perfotactyle” 7a+ hervorgeht. Die Route zieht über die vorderste Kante der überhängenden Felsnase und gefühlt hängt man weit über dem Wanderweg und der Schlucht. Klassiker sind unter anderem die drei Teile der “Diplodocus” 6c, 7b+ oder 8a, je nachdem, an welchem Umlenker man aufhört.

Weitere lohnende Sektoren sind La grotte de l’iroquois (6c-8b), La turbie (noch nicht im Kletterführer) ,L’ermitage mit einigen leichtern Mehrseillängentouren oder Les balcons mit leichterne Klettereien (5-7b).

 

Jahreszeit und Bedingungen

Juli gilt als der heißeste, aber trockenste Monat. An den heißen Tagen überschreiten wir also die 30°C, an einigen wolkigen Tagen geht es aber sogar mal auf 18°C runter. Durch den meist konstanten Wind durch die Schlucht und die trockene Luft haben wir im Schatten selbst an den heißen Tagen tatsächlich gute Kletterbedingungen. Der kühle Bach im Schluchtgrund erfüllt seinen Zweck und gibt das zusätzliche Extra an Erfrischung. Im Frühjahr sind einige Sektoren noch nass. Selbst im Juli war Klettern in Pupuce nicht möglich. Locals erzählen uns, dass in diesem Sektor im Herbst die besten Bedingungen herrschen. Im Winter kann es empfindlich kalt werden und einige Sektoren bekommen dann nur wenig Sonne ab.

 

Kids

Einige Sektoren haben einen etwas weiteren Zustieg oder sind nicht besonders eben an der Wand (Cayenne, Jurassic Park). Sektor Les Balcons hat nicht sehr viel Platz vor der Wand, Sektor Mesa Verde bietet viel ebenen Platz ohne Absturzrisiko und Sektor Pupuce hat einen kurzen, aber steilen Zustieg. An der Wand ist viel Platz, bevor es steil bergab geht. Le Phasme hat ausreichend Platz für Kids, der Abstieg zum Fluss ist aber steil.

Strand Crique de l’Aiguille

Ruhetagsbeschäftigung

Besonders im Sommer lädt der kühle Bach zum Erfrischen und Entspannen ein. Zudem lässt sich in der Schlucht viel erkunden. Wasserfälle und Grotten (teilweise mit kleinem Eintrittsgeld) oder die geführte Canyoningtour mit Abseiling über den markanten Wasserfall Saut du Loup sind spannenden Aktionen. Die Küste ist nicht weit entfernt und die unzähligen Strände der Cote d’Azur laden zum Baden ein. Hier ist das Wasser meist wärmer als in der Schlucht. Wer nicht unbedingt den Sandstrand neben der Promenade (= Straße) sucht, sondern lieber einen natürlichen und landschaftlich wunderschönen Kiesstrand bevorzugt, der sollte den Strand Crique de l’Aiguille südlich von Cannes besuchen. Zwischen den rötlichen Felsen findet man einen herrlichen Strand ohne Straßenlärm. Hier kann man sogar die Klippenspringer beobachten oder selbst am DWS Torbogen über den Tiefen klettern.

Zustieg zu Crique de l’Aiguille

Kultur

Neben Strand und Natur ist natürlich auch kulturell einiges geboten. Cannes und Nizza muss man nicht erwähnen. Nicht weit entfernt von der Schlucht findet man die Stadt Grasse und das Dorf Gourdon, welche als Hauptstadt und Ursprung des Parfüms bekannt sind. Gourdon liegt malerisch auf einem Felsvorsprung hoch über der Schlucht und wartet mit einem atemberaubenden Ausblick über die Schlucht und die Küste von Nizza bis Saint Tropez auf.

 

Anreise

Zu Coronazeiten kommt uns die vernünftige Erreichbarkeit mit dem Auto gelegen. Von München über die Schweiz (Chur, San Bernardino, Lugano) fahren wir an Mailand vorbei an die ligurische Küste. Vorbei an Savona, Finale und Monaco sind wir nach insgesamt 9,5 Stunden Fahrzeit in der Pont-sur-Loup.

Wer mit Flugzeug oder Bahn anreisen möchte, findet in Nizza einen internationalen Flughafen und eine TGV Station. Von dort kann man mit dem Zug weiter nach Grasse und mit dem Bus weiter in die Schlucht.

Es empfiehlt sich aber vor Ort ein Auto zu mieten.

 

Unterkunft

Zahlreiche Ferienwohnungen in allen Preisklassen werden rund um die Schlucht angeboten. Bei Pont-sur-Loup oder weiter flussabwärts gibt es einige Campingplätze. Wer mit dem Camper oder Bus unterwegs ist, kann auf dem Parkplatz von Gourdon gut stehen. Hier stehen sogar Trinkwasser und Toiletten zur Verfügung. Die Cote d’Azur ist leider dafür bekannt, dass Autos aufgebrochen werden. Deswegen entscheiden wir uns für eine Ferienwohnung und lassen das Auto möglichst immer leer und an befahrenen Straßen stehen. In der Schlucht selbst sollte Autoaufbruch aber kein Thema sein.

 

Kletterführer

L’escalade dans les Alpes-Maritimes:

Ausführlicher französischer Kletterführer, der die ganze Region abdeckt. Vollständig und einigermaßen aktuell, die Topos sind allerdings relativ unübersichtlich

Rockfax: Côte d‘Azur:

Englischer Auswahlführer der Region. Nicht vollständig, aber mit den wichtigsten Sektoren und Infos. Vor allem die Fototopos und Routenbeschreibungen sind ein nützliches Plus.

Weitere Infos und Topos gibt es auf der Webseite von Philippe Gatta

http://www.philippegatta.fr/climbing2.htm

 

Martin Wagner in “Mesquineries” 8a