
Klettern in Leonidio, Griechenland
29/06/2018Der Sonne entgegen
Anfang Dezember: Ich liege in kurzer Hose unter dem Fels in der Sonne und wünsche mir, dass eine Wolke aufzieht, um etwas Schatten für den nächsten Versuch in der Route zu haben. Nicht, weil die Sonne für die Perfomance ein wirkliches Problem wäre, sondern weil die Haut in der Wärme am rauen Fels schon ganz schön gelitten hat. Ein Blick aufs Handy: Regen und Schnee in München. Naja, vielleicht ist das hier in der Sonne gerade nur ein Luxusproblem und es war genau die richtige Entscheidung, aus dem üblichen Winterwetter in Deutschland ins warme Griechenland zu fliehen. Wenn man Sonne, warmen Fels und tolle Routen einer muffigen Kletterhalle und schlechtem Wetter vorzieht, ist die Alternative nach Leonidio zu kommen natürlich perfekt. Darum habe ich es gleich zweimal für zwei Wochen diesen Winter gewagt und konnte neben toller Landschaft, besten Kletterbedingungen und genialem Fels auch noch einige harte Routen genießen.

Leonidio: Sonne, Meer und beste Kletterbedingungen im deutschen Winter; Bild oben: Beeindruckend: Die Tour “Orion” in den Twin Caves ist mit 8b bewertet.
Leonidio: Das neue Kalymnos?
Leonidio ist ein aufstrebendes Klettergebiet, welches eigentlich keinerlei weitere Werbung benötigt. Jeder hat schon davon gehört und jeder Dritte war schon dort. Als das neue Kalymnos wird es häufig bezeichnet. Leonidio ist sicher eines der neuen Topgebiete, der Bezeichnung als das neue Kalymnos kann ich allerdings nicht ganz zustimmen, da die beiden Gebiete einen sehr unterschiedlichen Charakter haben. Felsqualität vom Feinsten, aber eben nicht das gleiche wie in Kalymnos. Die Landschaft in Leonidio ist wilder, meist hat man keinen Blick aufs Meer und die Wandstrukturen unterscheiden sich auch etwas von der bekannten Insel. Zwar sind die meisten Wände gespickt mit Sintern, aber anders als in der Grande Grotta auf Kalymnos, gibt es hier kaum hängende Stalaktiten. Es überwiegt steile Wandkletterei an Löchern, Leisten und Tufas, welche sich wie Schlangen an der Wand emporziehen. Außerdem findet man von Wasser zerfressenen plattigen Kalk vor, welcher von bombenfestem Kalk à la Wetterstein gespickt mit Sintern bis hin zu löchrigen Wänden à la Frankenjura variieren kann. Von leichten Platten, über technische senkrechte Wände bis hin zu stark überhängenden harten Powerrouten, ist für jeden etwas dabei. Schön ist, dass die Schwierigkeiten häufig gebündelt in den Sektoren zu finden sind, also immer genug Auswahl in den spezifischen Graden vorhanden ist.

Sektor La Maison des chèvres (Das Haus der Ziegen)
Beeindruckendes Setting für Megatouren
Leonidio liegt an der Ostflanke des Peloponnes am Eingang eines Tales, welches sich zum Meer hin weit öffnet und sich nach Westen weit und eng in das Gebirge zieht. Direkt über dem Dorf ragt die große rote Steilwand Kokkinovrachos mit bis zu 250 Metern Höhe empor und verleiht dem geschäftigen Dorf ein einmaliges Ambiente. Die hohe Wand bietet nicht nur einen natürlichen Wetterschutz nach Norden, sondern lässt sich auch wunderbar beklettern. Neben vielen Baseclimbs in den mittleren Graden gibt es auch einige Mehrseillängenrouten durch die ganze Wand. Höhepunkt ist aber wohl die Megakante, welche am obersten Ende wie mit dem Messer abgeschnitten, stark überhängend über dem Dorf thront. Zum Bewundern oder Bezwingen der harten und ausgesetzten Routen à la Verdon von oben sicher einmalig. Je weiter man sich ins Landesinnere bewegt, umso wilder wird die Landschaft. Das steile und enge Tal lässt jedem Kletterer das Herz aufgehen, wenn man die Wände rechts und links sieht. Dabei wird einem klar, welches riesige Potential für neue Routen hier noch schlummert. Je weiter man der Straße folgt, umso rauer wird die Landschaft, bis man irgendwann das Kloster Elona hoch oben im Fels erblickt. Mitten in der Felswand thront das weiße Gebäude und man könnte fast neidisch werden, welchen tollen Spielplatz die Mönche hier zum Klettern hätten, würden sie ihn nutzen.

Schöne Aussicht beim Einkaufen am Marktplatz von Leonidio
Climber´s Paradise
Direkt um die Ecke wartet eine gigantische Wand, bei deren Anblick meine Finger bereits zum Schwitzen und Zittern angefangen haben. Im rechten Teil in etwa 30 Grad überhängend und 60 Meter hoch, ausgesetzt an der Hangkante und gespickt mit den aberwitzigsten Sinterstrukturen, ist diese Wand ein Paradies für jeden ambitionierten Kletterer. Ihr Anblick ist extrem Respekt einflößend. Wenn man an der steilen Wand empor blickt, werden die Arme schon dick, bevor man überhaupt eingestiegen ist.
Zwei Mal zwei Wochen diesen Winter durfte ich in den sonnigen Süden nach Leonidio flüchten. Genug Zeit, um das Gebiet intensiv kennen zu lernen und ein paar harte Routen zu klettern. Bei der Ausbeute von 2x 8b, 1x 8a+/8b, 2x 8a+, 6x 8a und diversen Routen im oberen 7. Franzosengrad könnte man von einer eher softeren Bewertung ausgehen. Sicher waren ein paar Touren dabei, welche nicht zu hart für den angegebenen Grad waren, allerdings sind viele Touren doch eher härter und ehrlich bewertet. Glück für mich war, dass die Routen zu hundert Prozent meinem Stil und meinen Stärken entsprochen haben, dennoch musste ich in einigen Routen ganz schön beißen, um den Umlenker einhängen zu können.

Die Route “Orion” (8b) in den Twin Caves
Der Sektor Twin Caves
Eines der Highlights war bestimmt die Route “Orion” (8b) im Sektor Twin Caves. In perfektem orangefarbenen Fels zieht die Tour durch die leicht überhängende Wand. Der Stil der Route traf genau meinen Geschmack und ich konnte meine Stärken ausspielen. Kraftausdauer und Konzentration über mehrere Boulder mit schlechten Rastpositionen bis zum Rauswerfer ganz am Ende. Nur, wenn am letzten Haken noch genug Kraft übrig ist, kann man dann den letzten Boulder bezwingen. Im ähnlichen Stil, aber etwas leichter, konnte ich noch den Klassiker und Testpiece “Tufandago” (8a+) meistern. Beides sicher keine Geschenke in den Schwierigkeitsgraden. Nur ein paar Meter weiter rechts steht eine stark überhängende markante Kante, an welcher die Route “What” (8b) hochzieht. Anfangs schätzte ich die Route als eher soft ein, trotzdem schüttelten mich die letzten Züge einige Male ab. Wenn ich wie die meisten Kletterer eine lange Expressschlinge im Umlenker geklippt hätte, anstatt zum echten Ende zu klettern, hätte ich mir bestimmt den einen oder anderen Versuch sparen können. Aber für mich zählt der Durchstieg eben nur, wenn man auch den Umlenker und keine Verlängerung einhängt. Aber auch die anderen Routen in den Twin Caves begeisterten mich. Sowohl die senkrechten Aufwärmrouten, als auch die Touren in den mittleren Graden wie die beliebte “Bonobo” (7b+) überzeugten mit bester Felsqualität.

“What” (8b) im Sektor Twin Caves
Coole Touren in Elona
Ein weiteres Highlight ist sicher der Sektor Elona. Den ganzen Tag im Schatten und häufig sehr windig, kann es dort unangenehm kalt werden. An dieser Wand wurden die ersten Touren von Leonidio erschlossen und die Routen sind durchwegs recht hart bewertet. Dies wurde spätestens bei der dritten Aufwärmroute klar, “Paranihida” (7a+), die mir die Unterarme gnadenlos aufpumpte und die Kräfte aus dem ganzen Körper saugte. Dass es am Sektor Elona keine Geschenke gibt, wurde dann nochmals durch “Veganza del silencio” (8a) bestätigt. Jedoch besteht kein Grund, auf diese Route zu verzichten! Ein No-Hand-Rest Doppelknieklemmer im oberen Dach und die offenen flachen Sinter in der Ausstiegswand sind etwas ganz Besonderes.

“Veganza del silencio” (8a) im Sektor Elona
Überhänge und senkrechte Wände in Limeri
Der Sektor Limeri zählt sicher auch zu den besten im Gebiet. Ein kurzer Zustieg und ein Mix an steilen 30 Grad überhängenden Routen und senkrechter Wandkletterei machen diese Wand sehr populär. Routen wie “To Fthino Manaviko” (8a+), “OAKA I.C.” (8a) und “Paraplanisi” (7c+) gehören für mich zu den besten an dieser Wand. Auch die relativ neu erschlossene Route “Le Piliers de Bar” (7a) mit dem Blick aufs gegenüberliegende Kloster sowie die senkrechte und kleingriffige “Coffee Right” (7c) sollte man hier nicht verpassen.

“Le Piliers de Bar” (7a) im Sektor Limeri
Klein, aber oho: La Maison des chèvres und Adrspach Wall
Etwas kleinere, aber dennoch erwähnenswerte Sektoren mit grandiosen Routen sind La Maison des chèvres und Adrspach Wall. An ersterer Wand findet man einen sonnigen Mix aus Routen in den mittleren Graden von 6c bis 8b, welche kein Totalangriff auf die Ausdauer sind. An der Adrspach Wall wird man schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, da die Routen meist mit harten und technisch anspruchsvollen Stellen aufwarten. Trotzdem gelang mir die Erstbegehung der neuen Verlängerung von “Sugar Loaf”, welche ich mit 8a+/8b bewerten würde. Nach einem Boulder über einen Bauch folgt technische Wandkletterei an offenen kleinen Leisten und schlechten Tritten.

“Sugar loaf” (8a+/b) an der Adrspach Wall
Ausflug auf den Mars
Den wohl beliebtesten Sektor haben wir uns für den Schluss aufgehoben, da selbst in der weniger frequentierten Zeit einige Kletterer an der Wand waren. Sektor Mars bekam seinen Namen nicht von ungefähr. Der knallig rote Fels mit unrealistischen Sinterstrukturen in der unteren Hälfte beherbergt Routen „vom anderen Stern“. Neben der tollen Felsstruktur mit Sintern unten und löchrigem Fels im oberen Teil besticht die Wand mit einem großen Routenangebot in den mittleren Graden. Der Großteil der Routen bewegt sich zwischen 7a und 7c und verlangt hauptsächlich Ausdauer ab, ohne knallharte Einzelstellen zu haben. Ideal also, um in den letzten Tagen Routen zu spulen und viele Klettermeter zu machen. Zwar sind die beiden schwersten Routen „nur“ 8a, ziehen sich aber 40 bzw. 52 Meter nach oben. Ordentlich ausgesetzt, wenn man überhängend von einer Terrasse startet, von der es nochmals 20 Meter nach unten geht. Wir haben uns für die nur 40 Meter lange 8a namens “Oeil de Boeuf” entschieden, durften aber feststellen, dass kein Meter dieser Route verschenkt war. Ein steiler Boulder zum Einstieg gefolgt von einigen weiteren Bouldern zwischendurch, wartet dann kurz vor dem Umlenker der schwerste Teil der Route. Also Nerven zusammen behalten und möglichst schnell und konzentriert durch die Route. Ana wollte diese Strapazen lieber nur einmal auf sich nehmen und zauberte ihren ersten 8a flash in die Wand.
Auch wenn wir viele Routen klettern konnten, ist das Angebot noch lange nicht erschöpft. Vor allem, wenn man an das Neutouren-Potenzial von Leonidio denkt. Die Entscheidung, wieder zu kommen ist also schon getroffen. Dem Winter entfliehen in ein sonniges Paradies!