Kyparissi – griechischer Fels in Perfektion

Kyparissi – griechischer Fels in Perfektion

27/11/2020 Aus Von Martin Wagner

„Klettereldorado“, „Der beste Sektor der Welt“, „Ceuse, nur mit Sintern“, „perfekte Tufas“. Wenn man sich übers Klettern in Kyparissi umhört, sind das die ersten Reaktionen, die man dazu bekommt. Auch Videos und Bilder im Internet versprechen genau das. Grund genug sich selbst davon zu überzeugen. Das Ergebnis: Der absolute Wahnsinn!!! Wir sind uns nach unserem Besuch in Kyparissi absolut sicher, dass hier eine der besten Sportkletterwände Europas steht.

Martin Wagner verloren im Tufadschungel von Aima kai Sperma, 8a+

Kyparissi befindet sich unweit von Leonidio an der Ostküste der Peloponnes. Für Leonidio muss man schon längst keine Werbung mehr machen (siehe Bericht Leonidio). Denn hier findet sich besonders von Herbst bis Frühling für Jedermann ein nahezu perfekt erschlossenes Klettergebiet allerhöchster Qualität. Kyparissi ist bisher nur über zeitraubende enge und kurvige Straßen erreichbar. In Kyparissi angekommen findet man aber dafür eines der schönsten und noch weitgehend authentischen Dörfer an der Küste der Peloponnes mit großen einsamen Stränden, mit kristallklarem Wasser und natürlich der massiven Felsbarriere, die sich hoch oben um die komplette Bucht aufbaut. Und eben hier warten die wohl besten Sportkletterrouten weit und breit: im Sektor Babala.

Panorama von Babala

Babala – der König der Sektoren

Babala ist wohl der Grund für den Ruhm von Kyparissi. Hier reiht sich eine erstklassige Route neben die andere, die Sinterstrukturen sind fast unbegreiflich, die Wand einfach unfassbar und man kann sich nicht entscheiden, wo man anfangen soll. Das ganze wird gekrönt mit einem Panorama über die Bucht und das Meer, das seinesgleichen sucht. Trotzdem ist hier nicht viel los. Ein genauer Blick ins Topo verrät auch warum: Unter 8a ist nicht viel zu holen, ab 8a aber dafür jede Menge.

Sektor Watermill

Routen für Jedermann

Neben Babala gibt es aber auch weitere lohnende Sektoren. Watermill ist mit einem sehr breiten Routenangebot von 5c bis 8c und plattig bis stark überhängend ein weiterer Sektor, bei dem man ins Schwärmen kommen kann. Der Sektor Vlychada direkt an einem abgelegenen paradiesischen Strand bietet ebenfalls einige lohnende Routen im Bereich 3 bis 8a+.  In Kastraki, Playground und Kapsala findet man lohnende Routen in den gemäßigteren Schwierigkeitsgraden. Die beiden brandneu erschlossenen Wände Hideout und Balogeri bleiben wahrscheinlich nicht lange Geheimtipps. Einige weitere Sektoren haben ebenfalls Potential. Am Ende ist und bleibt aber Babala der Hauptgrund, warum man nach Kyparissi zum Klettern kommt.

Die 9 Lektionen in Kyparissi

Bevor wir das Paradies vollends genießen können, müssen wir erst ein paar Lektionen lernen. Es ist Oktober und die ersten Tage sind ungewöhnlich heiß. Bei 36°C ist zwar das Baden recht schön, aber schon beim Aufwärmen in den ersten Kletterrouten tropft uns der Schweiß vom Körper. Als wir dann noch im „falschen“ Sektor in die „falschen“ Routen einsteigen, verlieren wir zuerst die Haut an den Fingern und dann die Lust am Klettern. So scharf und „dreckig“ sind die Routen. Das soll das Paradies sein? Wie wir feststellen, geht es nicht nur uns so, und auch andere Kletterer müssen die gleichen Lektionen lernen.

Lektion 1: Gebacken auf der Käseraspel

In einigen Sektoren kommt der Schatten erst spät an die Wand und an heißen Tagen hält sich die Hitze wie in einem Backofen. In anderen Sektoren finden wir extrem raue Routen vor, die uns die Haut wie ein Käsehobel von den Fingern raspelt. Der Supergau findet im Sektor Psichovralos statt: Hier werden wir in der Hitze gebacken und die scharfen, nahezu ungekletterten Routen lassen unserer Finger fast bluten. Hier wurde nach dem Einrichten einiger Routen kaum geputzt und die scharfen Dornen an der Wand bröseln unter den Fingern und Kletterschuhen nach unten. Zeit den hoch gelobten Sektor Babala zu besuchen. In der immer noch andauernden Hitze steigen wir fast 1h unter der Vormittagssonne zur Wand auf. Babala ist schon früh im Schatten und die Temperatur an der Wand deutlich angenehmer. Außerdem sind die allermeisten Routen ordentlich geputzt.

Ana Ogrinc Wagner hängt nach erfolgreichem Durchstieg lässig ab.

Lektion 2: Aufwärmen in Babala? Besser nicht.

An der Wand angekommen sind wir aber erstmal überwältigt von den Strukturen und dem atemberaubenden Panorama. Jetzt beginnen wir zu erahnen, was Babala und damit Kyparissi so besonders macht. Allerdings gibt es davor noch einige weitere Lektionen zu lernen. Und das bemerken wir spätestens in den sehr spärlich gesähten Aufwärmrouten. Nach der ersten staubigen Platte hatten wir genug. Sinnvolle Aufwärmrouten: Fehlanzeige. Für alle folgenden Tage wählen wir zum Aufwärmen die großzügigen und schönen Routen des Sektors Kastraki, an wolkigen Tagen gehen wir nach Watermill.

Lektion 3: Go big, or go home

Bevor wir uns ein Projekt suchen, wollen wir erst noch ein paar Meter machen. Als wir in eine der 7b+ einsteigen, bekommen wir aber gleich die nächste Klatsche. Wer hier abheben will, muss dem Stil gewachsen sein. Technisch geht es an flachen Sintern hoch und wir pressen die Knie zwischen Reibungstritte und flache Sinter. Scheinbar sind wir dem Stil noch nicht gewachsen und versagen gnadenlos. Wie wir später erfahren, ist die Tour selbst mit optimaler Beta wohl kein Zuckerschlecken. Außerdem bestätigen uns alle anderen Kletterer, dass man hier besser in die 8as einsteigt, die seien „leichter“. Gesagt getan und die erste 8a deckt sich mit dem Schwierigkeitsgrad, den ich mit 8a verbinde. Jetzt könnte es endlich losgehen. Coole Moves, Sinter, das Gefühl endlich ordentlich zu klettern. Ein Blick auf die Fingerkuppen zwingt uns erstmal einen Ruhetag einzulegen. Kraft war noch da, aber viel Haut war nicht mehr übrig.

Martin Wagner in Efcafisto, 8a

Lektion 4: Hautproblem als Hauptproblem

Nach einem Ruhetag, viel Hautcreme und Aufwärmen in Kastraki steigen wir zu Babala auf. Die erste 8a des Urlaubs (Efcafisto) ist schnell geschafft und wir wollen direkt in die nächste Route. Wir steigen in eine neue 8a (noch ohne Namen) ein und sind abermals begeistert vom tollen Fels und den coolen Moves. In der neuen, zwar sehr gut geputzten Route sind die Griffe allerdings noch so scharf, dass wir schon nach dem ersten Versuch aufgeben müssen. Ein weiterer Versuch an diesen rauen Griffen würde uns Löcher in die Finger reißen und das Klettern an den Folgetagen unmöglich machen. Also schon wieder pausieren und halbstündlich cremen. Bei einem Local erkundigen wir uns nach Routen, die vielleicht etwas hautfreundlicher sind und wir bekommen sämtliche Klassiker der Wand genannt.

Wie auf Eisenbahnschienen: Martin Wagner zwischen den Sintern von Advocatus Diavolo, 8a

Lektion 5: Kneepads auch für Kneepadgegner

Schon an den ersten Tagen stellen wir fest, dass hier Knieklemmer eine der Haupttechniken in einer Route sind. Selten nur zum Rasten, sondern um sich die Wand überhaupt hoch zu bewegen. Für uns keine neue Technik, weil wir häufig an Sintern klettern, aber hier wird die Bedeutung von Knieklemmern auf ein noch höheres Level gehoben. Die Stofffetzen um unsere Oberschenkel, die uns bisher vor den gröbsten Hautproblemen am Knie bewahrt haben, reichen hier längst nicht mehr aus. Auch die Schwierigkeitsbewertung beruht hier auf die Nutzung von professionellen Kneepads. Für uns führt kein Weg um den Kauf herum und wir bemerken schon gleich den entscheidenden Unterschied.

Knieklemmen Deluxe: Ana Ogrinc Wagner in Streptococcous, 8a

Lektion 6: Die Crux kommt meistens ganz oben

Gut ausgerüstet und mit frischer Haut machen wir uns also an die empfohlenen Klassiker. In meiner bisher fast zwanzigjährigen Kletterlaufbahn sind mir solch großartige Routen nur selten untergekommen. Zwar ist in allen Routen das Tufaklettern fester und dominierender Bestandteil, doch sind trotzdem alle unterschiedlich. Innerhalb der nächsten Wochen bezwingen wir das volle Tufa-Repertoire in sämtlichen Klassikern. In Advocatus Diavolo 8a klettert man zwischen zwei schnurgeraden Sintern wie auf Eisenbahnschienen nach oben. Streptococcous 8a ist ein einzelner schmaler Sinter, auf dem man pumpig nach oben reitet. Im Octo Plus 8a ist von Platte, zu Sinterlabyrinth bis hin zu Löchern und Leisten in der Headwall alles geboten. Aima kai Sperma 8a+ erfordert das fehlerfrei Navigieren durch einen Wald aus Sintern, bei denen ein falsch gesetzter Knieklemmer zwischen gnadenlosem Pump und Nohandrest entscheiden kann. Gefolgt von einer steilen athletischen Headwall mit extrem weiten Zügen an flachen Griffen und Löchern. Auch Carpe Diem 8a+, La derniére Goutte pour la Route 8a+ und Leodokardos 7c+ zeigen immer das gleiche Bild: Am Ende kommt es nochmal knüppelhart und es ist leicht, hier noch den Durchstieg zu versauen. Mit sorgfältigem Ausbouldern kann ich es glücklicherweise meist verhindern.

Den Horizont im Nacken: Ana Ogrinc Wagner knüppelt die Leisten in der Headwall von Octoplus, 8a

Lektion 7: Alzheimer-Onsight neu definiert

Onsight, die Königsdisziplin im Sportklettern: Man hat keinerlei Information über die Route, man kennt die Griff- und Trittfolge nicht, alles ist neu und man bezwingt die Route im ersten Versuch. In Babala gibt es einige Routen, bei denen es sich selbst beim zweiten, dritten, oder vierten Versuch genauso anfühlt. Nur dass der erfolgreiche Durchstieg ausbleibt. Die Sinter schauen stellenweise über Strecken exakt gleich aus. Es gibt keine markanten Griffe oder Tritte und alles sieht identisch aus. Und doch gibt es die entscheidenden Strukturunterschiede, die zwischen Erfolg und Misserfolg entscheiden. Gnadenloser Pump in Armen UND Beinen sind häufig die Folge sobald man wieder mal nicht die richtige Kombination erwischt hat.

Ana Ogrinc Wagner schnappt sich Tiresias, 8a

Lektion 8: Weniger ist schwer

Der Urlaub neigt sich dem Ende zu und die Ticklist mit 8as und 8a+ ist prall gefüllt. Ich lasse ungern Projekte stehen und entscheide mich deshalb am letzten Tag für eine 7c+. Leodokardos, die Route mit dem wohl beeindruckensten Sinterstrukturen. Stellenweise verlaufen bis zu 8 faust- bis oberschenkelbreite Sinter parallel nach oben. Doch schon beim ersten Versuch wird mir klar, dass Lektion 7 hier besonders zutrifft. Die Sinter verpassen mir einen Dauerpump im ganzen Körper und ich kämpfe mich im Alzheimer-Onsight nach oben. Ganz oben schlägt Lektion 6 gnadenlos zu und der Dauerpump wirft mich auf den letzten Metern ab. Lektion 5: check. Lektion 4: egal, es ist der letzte Tag. Aber der Pump im ganzen Körper will nicht weichen. Während sich Ana eine weitere 8a (Tiresias) zum Mitnehmen eintütet, raste ich. Wie war Lektion 3 nochmal? Go big, or go home? Die Dämmerung nähert sich, letzte Chance. Wie ein Dampfross schnaufe ich nach oben. Wieder einmal verlaufe ich mich in den Sintern und bin vor Anstrengung den Tränen nahe. Keine Ausrede. Vollgas nach oben pumpen. Oben muss es schnell gehen, darum werden die Exen einfach nicht mehr eingehängt. Es ist ja genug Luft unter den Sohlen. Auf allerletzter Rille erreiche ich den ersehnten Henkel und kämpfe mich die letzten Meter bis zum Umlenker. Auch wenn es die leichteste Route in meiner Babala Tickliste war, hat sie sich wie die allerschwerste angefühlt. Eine Quälerei auf ganzer Linie, welche einmal bezwungen in volle Freude umschlägt.

Kulturprogramm Monemvasia

Lektion 9: Genieße die Ruhetage, Strände und Kultur

Eine leicht zu lernende Lektion. Schon in Leonidio gibt es kleine und große paradiesische Strände. Kristallklares warmes Wasser lockt uns jeden Tag ins Meer. An Ruhetagen kann man stundenlang aufs Meer hinausschauen oder den Wellen zuhören. Man sollte sich aber auch nicht scheuen, mit dem Auto die großräumige Gegend zu erkunden. Die Strände Vlychada (mit gleichnamigen Sektor) und Fokianos lohnen einen Besuch. Die kulturelle Ladung kann man sich in Monemvasia, Mystras bei Sparta, oder etwas weiter in Mycene abholen. Wer die lange Fahrt nicht scheut, findet auf der kleinen Insel Elafonisos den wohl paradiesischsten Sandstrand, der selbst in der Karibik oder Thailand seinesgleichen sucht. Zum Tanken oder für den ausgefalleneren Einkauf muss man die erste Stunde sowieso fahren.

Hausstrand in Kyparissi

Verpflegung

In Kyparissi gibt es einen kleinen Supermarkt, der fast alles außer Obst, Gemüse und Brot im Sortiment hat. Die Bäckerei verkauft Brot und vereinzelt Obst und Gemüse. Häufig fährt ein Händler mit Obst und Gemüse oder mit frischem Fisch durch den Ort. Für alles weitere muss man Leonidio oder die Ortschaften Richtung Sparta ansteuern. In Kyparissi gibt es einige gute Restaurants und Bars.

Übernachtung

Kyparissi bietet einige Zimmer und Appartements. Wer mit dem Camper anreist, findet direkt am nördlichen Strand einen Platz, an dem es von den Anwohnern geduldet wird. Hier kann man auch frisches Wasser und eine kalte Stranddusche finden.

Anreise

Von Athen auf der Autobahn nach Sparta. Von hier die letzten 80km sehr kurvig innerhalb von 2h nach Kyparissi. 1,5h mit stabilem Magen aller Mitfahrer.

In der neu gebauten Küstenstraße von Leonidio fehlt noch ein kleines Stück. Bis das geschlossen ist, muss man von Leonidio bis nach Fokaino noch durch die Berge kurven. Ab Fokianos führt die sehr gut ausgebaute Küstenstraße bis Kyparissi. Insgesamt benötigt man ca. 1h15min. Sobald das letzte Stück geschlossen ist, verkürzt sich die Fahrzeit wahrscheinlich auf 45min.

Tankstellen gibt es in Leonidio oder in Richtung Sparta ca. 1h Fahrzeit entfernt. Also immer den Tank im Blick behalten.