
Piz Bernina – über Biancograt (AD, III+, 50 Grad)
07/09/2017Tourensteckbrief
Schwierigkeiten bei unserer Begehung: AD+ bzw. ZS+ / III+, Firnteil bis 50 Grad Webcam: https://stream.webcams.travel/1485562098 Hüttenzustieg: Pontresina Bahnhof (Vorsicht hohe Parkgebühr) – Tschiervahütte 800hm – 11,5km; 3h – 4h Stützpunkt: Tschiervahütte und Marco e Rosa Hütte Gehzeiten: Tschiervahütte – Piz Bernina – Marco e Rosa Hütte: 1600hm Anstieg – 625hm Abstieg – 7,5km; ca. 9 – 12h (je nach Verhältnissen, Verkehr) Abstieg zur Diavolezza Bergstation über Fortezzagrat: 700hm Anstieg – 1350hm Abstieg – 8km; 5 – 7h (je nach Verhältnissen, Verkehr) Material: Kletterseil mind. 50m, 4 x Express Sets, 2 x Friends mittlere Größe, 3 x Eisschrauben 19cm, Eispickel, Steigeisen, 4 Bandschlingen, Sicherungsgerät Tour durchgeführt am: 19-21.08.2017 |
Der Biancograt auf den Piz Bernina ist eine der großen Himmelsleitern der Alpen! Die Anforderungen der Tour auf dem Papier schauen auf den ersten Blick nicht wild aus. Die Tour wird daher häufig von Alipnisten unterschätzt. Eine AD bzw. ZS in der Westalpenskala, Kletterei bis III+ und im Firn bis zu 50 Grad. Alles halb so wild…

Bergsteiger am Biancograt
In der Realität ist der Fels oft verschneit oder vereist, man klettert mit Steigeisen an den Füßen. Ist der Firngrat nicht in perfekter Kondition wird es schnell steiler als 45 Grad und man ist nur auf den Frontzacken unterwegs. Zudem stellt die Tour hohe Anforderungen an die Psyche. Über viele Stunden ist man in absturzgefährdeten Gelände unterwegs. Absolute Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind unumgänglich. Ein Rückzug ist nur schwer möglich und dauert meist genauso lang wie der Weiterweg über den Gipfel. Der Abstieg über den Spallagrat ist auch kein Spaziergang, und dass nach 12h höchster Konzentration und 1600hm im Aufstieg. Genau diese Anforderungen in Kombination mit der einzigartigen Ästhetik der Tour locken auch uns eines Tages zu dem Grat der Grate…
An einem verregneten Samstagnachmittag im August 2017 machen wir uns auf den Weg von Holzkirchen nach Pontresina. Nachdem wir den teuren Parkschein gelöst haben machen wir uns auf den Weg um den langen Zustieg durch das Val Rosegg Tal zur Tschierva Hütte noch vor der Dunkelheit hinter uns zu lassen. Wir kommen zusammen mit dem letzten Tageslicht dort an und werden freundlich von der Hüttenwirtin empfangen.
Zustieg
Nach einer wenig erholsamen und kurzen Nacht klingelt um 3 Uhr der Wecker und nach einer kleinen Stärkung machen wir uns gegen 4 Uhr auf den Weg in die Dunkelheit. Der am Anfang noch sehr gut mit Katzenaugen markierte Weg wird im Laufe der Zeit leider immer schlechter markiert. So dauert es nicht lange bis wir das GPS Gerät herausholen um zu prüfen, ob wir uns in dem weglosen Gelände noch auf dem richtigen Pfad befinden. Ca. 1 ½ Stunden später stehen wir am Gletscherrand und legen unseren Klettergurt und Steigeisen an. In der Dunkelheit haben wir den Einstieg auf den Gletscher verpasst und sind weiter auf der steilen Seitenmuräne bergauf gestiegen. Am einfachsten betritt man so bald wie möglich den Gletscher und steigt auf diesem Richtung Scharte – dies spart wertvolle Zeit.

Biancograt mit Piz Morteratsch
Seit einiger Zeit führt der weitere Zustieg Richtung Grat über einen mit Eisenstangen und Klammern versicherten Steig. Der direkte Weg über ein steiles und aperes Firnfeld ist inzwischen stark von Steinschlag bedroht und ohne Firnauflage zudem nur mit voller Eisausrüstung in Form von Eisgeräten machbar. Der vor uns liegende Klettersteig, die Eisenstangen und Tritte sind komplett mit einer Eisschicht überzogen. Unsere ganze Aufmerksamkeit ist nötig um sicher bis in die Scharte zu steigen. Von oben tropft es unablässig auf uns herab. Wir sind sehr froh über unsere Hardshelljacken.
Am Grat
In der Scharte angekommen gönnen wir uns einen Clifbar Riegel und einen Schluck zu trinken. Hier beginnt die eigentliche Kletterei. Der Fels ist verschneit und teilweise vereist. In den Tagen zuvor war es für August schon sehr kalt. Die Kletterei hier ist nie schwierig, jedoch hat ein Sturz fatale Folgen. Zur Absicherung stecken an den Ständen gebohrte Haken, dazwischen muss selbst für die Absicherung gesorgt werden. Wir überklettern die sogenannte Haifischflosse direkt, was problemlos und schnell vor sich geht. Falls keine perfekte Spur im Firn um die Haifischflosse herumführt, ist dass die sicherere Wahl. Eine 40m Abseillänge bringt uns dann zum Beginn des fotogenen Firngrats, dem eigentlichen Biancograt.

Piz Bernina Gipfel Kletterei
Der zu Beginn noch mit Trittfirn bedeckte Grat wird mit zunehmender Steigung immer blanker, so dass wir an der steilsten Stelle eine Eisschraube in das blanke Eis drehen und 60m sichern. Rechts und links des Grats zieht es spektakulär hunderte Meter nach unten. Dann flacht der Grat wieder ab. Wir verstauen das Seil wieder im Rucksack und gehen das letzte Stück zum Piz Bianco, der dem Piz Bernina vorgelagerten Gipfel. Ein felsiger und tief verschneiter Grat zieht hinüber zum 4049m hohen Piz Bernina. 100%ige Konzentration ist hier noch einmal gefordert. Nach so langer Zeit auf den Beinen gar nicht so einfach. Die Schlüsselstelle der ganzen Tour befindet sich kurz unterhalb des Gipfels, löst sich aber in Wohlgefallen auf. Auch hier sind die Stände und die Abseilstellen wieder mit soliden Bohrhaken ausgerüstet.
Am Gipfel
Kurz Zeit später genießen wir am Gipfel des einzigen Ostalpen 4000er die phänomenale Aussicht auf die Berge um uns herum – klingende Namen wie Piz Palü, Piz Rosegg, am Horizont der Monte Disgrazia. Der gut einsehbare Abstieg über den Spallagrat Richtung Marco e Rosa Hütte verlangt noch ein weiteres Mal volle Konzentration. Es geht meist über ausgesetztes Gehgelände, manchmal im 2er Gelände und später abseilend direkt am Grat entlang nach unten. Vor einigen Jahren ist hier der 8000er Bergsteiger Norbert Joos tödlich abgestürzt – eine Mahnung noch einmal alles zu geben. In der Hütte angekommen dauert es nicht mehr lange bis das leckere italienische Abendessen auf dem Tisch steht. Schnell kommt die Müdigkeit nach mehr als 12h auf den Beinen und schon kurz vor 9 Uhr liegen wir im Bett und geben uns dem wohlverdienten Schlaf hin.

Piz Bernina Spallagrat
Der Abstieg
Der nächste Tag beginnt ganz entspannt um 7:00Uhr. Wir frühstücken und machen uns gegen 8:00 auf den Weg Richtung Diavolezza Bergbahn. Der Abstieg dorthin führt über riesige, zerklüftete Gletscher und den Fortezzagrat. Bis zum Grat gehen wir angeseilt. Die riesigen Seracs, die fragilen Schneebrücken und das spannende Panorama nötigen uns noch einmal Respekt ab. Der Fortezzagrat stellt uns vor keine großen Herausforderungen. Der Weg ist vorbildlich markiert und versichert. Nach diversen Abseilaktionen haben wir diese neuralgische Stelle des Abstiegs hinter uns. Der restliche Abstieg erfolgt über den aperen Gletscher im Richtung Diavolezza. Bevor man jedoch den vom Piz Palü herunterfließenden Gletscher queren kann, muss über bröselige Geröllfelder abgestiegen werden. Eine unangenehme Sache, wahrscheinlich gibt es irgendwo einen schöneren Abstieg. Die Bergbahn bringt uns für viel Geld schnell nach unten. Dort wartet schon der Zug mit der wir zurück zum Ausgangspunkt Pontresina fahren. Wer noch nicht genug hat kann Alternativ über die Bovalhütte nach Morteratsch absteigen und spart sich so das Geld für die Bergbahn, allerdings kostet diese Variante etliche Stunden mehr Zeit.